Während des Wiederholungskurses können die Pioniere und Führungsunterstützer nicht nur ihr Wissen festigen, sondern es auch auf der modernsten Trümmeranlage der Schweiz anwenden. Das Kader dagegen wird während der zweitägigen Simulation im Ausbildungszentrum Schönau ins kalte Wasser geworfen und muss seine Führungsqualitäten beweisen.
Von Nelio Biedermann
Er geht mit einer orangen Schwimmweste über dem grünen Zivilschutzhemd die Böschung hinunter, durch das hohe Schilf zum grünen Wasser, dessen stille Oberfläche nur von ein paar Blässhühnern durchkreuzt wird. Ihm folgen fünf weitere Zivilschützer ohne Weste, zusammen tragen sie den dicken, roten Schlauch der Riverside ins Wasser. Oben an der Böschung steht ein Mann mit einem Cowboyhut aus dunklem Leder und gibt Anweisungen. Der kleine Stausee liegt umgeben von grünen Weiden und hohen, dicht belaubten Bäumen im Wald. Die grosse Wasserpumpe könnte bis zu 2 500 Liter aus dem See pumpen, doch da das Wasser den See nicht verlassen darf, bauen die Zivilschützer unter der Leitung ihres Gruppenführers Daniel Hauser aus Holzpaletten, Pfählen und einer Plastikplane ein Auffangbecken. Manchmal mutet die Ausstattung fast archaisch an, aber die einfachste Lösung ist oft auch die beste; die simplen Werkzeuge und Konstrukte sind jene, die auch im Ernstfall funktionieren. Deshalb verlässt man sich auch auf dem gesamten, weitläufigen Übungsgelände auf Kommunikation über Funk. Aus Hausers
Funkgerät ertönen immer wieder leicht verzerrte Stimmen. Seinen Pionieren erklärt er mit Hilfe eines kleinen, blauen Buchs mit laminierten Seiten die korrekte Bedienung der Riverside. Im blauen Buch, dem Führungsbehelf, stehen nicht nur Informationen über die verschiedenen Geräte, sondern auch Anweisungen zum Risikomanagement und der Art und Weise, wie Feedback gegeben werden soll und Ziele erreicht werden können.
Jedes Gerät hat seinen spezifischen Einsatzbereich
Während der ersten drei der fünf Tage, die der Wiederholungskurs beansprucht, sind die Gruppenführer für die Ausbildung der Soldaten zuständig. Kommandant Beat Klingelfuss nennt dies die «Festigungsstufe», in der das Wissen des Grundkurses
vertieft und die Materialkunde repetiert wird. An den beiden letzten Tagen geht es dann darum, die erprobten Gerätschaften im Ausbildungszentrum Schönau in Cham, der modernsten Trümmeranlage der Schweiz, anzuwenden. «Wir haben viel Material und viele Leute», sagt Klingelfuss. «Aber es ist wichtig, dass diese auch damit umgehen können.» Dies gilt nicht nur für die Soldaten, sondern auch für das Kader. Bei der Übung auf dem Trümmerfeld wird der Ernstfall simuliert, die Zugführer werden mit einem komplexen Szenario konfrontiert, müssen die Lage beurteilen und Entscheidungen treffen. Oberleutnant Yves Brunschweiler hält den Aufbau des Wiederholungskurses deshalb auch für sinnvoll: «Es ist wichtig, dass wir mit den Geräten, die teilweise lange nicht mehr bedient wurden, üben. Und es ist gut, dass wir diese dann auch gleich auf einem Trümmerfeld einsetzen können.» Einige Gerätschaften sind zudem eigens für schwieriges Gelände gebaut, wie die Spritzwasserpumpe, die zwar weniger effektiv ist als die Riverside, dafür aber auch viel leichter, sodass sie von zwei Personen auch über Geröll getragen werden kann. Auch das autogene Schneidgerät eignet sich vor allem für spezielle Einsätze, bei denen zum Beispiel unter Wasser Metall geschnitten werden muss. Gruppenführer Steven Kaufmann zeigt den umstehenden Soldaten, wie sie mit dem Feuerstein das Gas des Schneiders entzünden und worauf sie achten müssen. «Wichtig ist, dass ihr etwas über der Fleecejacke tragt, denn die kann schnell in Flammen aufgehen», sagt er. Sowieso geht die Sicherheit vor: Neben dem Übungsplatz steht ein Eimer mit
Wasser zum Löschen und Zivilschützer Cameron Barger trägt eine dunkle Schutzbrille gegen das gleissende Licht und die sprühenden Funken, die ihm ins Gesicht spritzen.
«Ich wollte unbedingt Pionier werden»
Während die Führungsunterstützer den Kommandoposten aufbauen, die Antenne aufstellen, Wetterkarten und Protokolle anfertigen, bringen die Fahrer Personal und Material zum Schadensplatz. Dort unten, am Flussufer, liegen vereinzelte Trümmer
und tonnenschwere Betonplatten. Über der Sihl und den Baumwipfeln kreisen Schwalben. Zwischen Geröll und Grasbüscheln fliesst klares Wasser, darüber ziehen weisse Staubwolken. Das Dröhnen der Presslufthammer übertönt das Vogelgezwitscher. Nachdem Basil Zbinden einige Zeit den Betonblock bearbeitet hat, klappt er die Ohrenschützer und die Schutzbrille hoch, um zu erzählen, wieso er unbedingt Pionier werden wollte: «Normalerweise sitze ich als Student den ganzen Tag rum und werde das wahrscheinlich auch später im Beruf tun. Der Zivilschutz ist da ein guter Ausgleich. Am Abend bin ich jeweils richtig körperlich ausgelaugt.» Ein paar Meter weiter frisst sich eine Steinfräse in eine Betonplatte. Am Ende der Säge befinden sich zwei dünne Schläuche, die in einen Kanister münden, der immer wieder mit kaltem Flusswasser gefüllt wird. Am Kanister steht ein zweiter
Zivilschützer, der das Wasser durch die Schläuche pumpt, von denen es über die Klingen fliesst und diese kühlt. Auch der Kreisbohrer, der Löcher in den Stein fräst, funktioniert nach diesem Prinzip.
Der simulierte Ernstfall verändert die Dynamik
Für die Zugführer beginnt der erste Tag auf dem Trümmerfeld Schönau früher als für die gewöhnlichen Soldaten. Sie stehen vor einem Lageplan beieinander und lassen sich den Schadensplatz erklären. Der tagelange Regen hätte dazu geführt, dass der
Hang ins Rutschen gekommen sei; tatsächlich herrscht nicht nur in der Simulation, sondern auch in der Realität Weltuntergangsstimmung mit dunklem Himmel und sintflutartigem Regen. Im Perimeter, für den der Zivilschutz zuständig ist und nicht die Feuerwehr, gebe es über ein Dutzend akute Problemfelder. Auch von verschütteten, verletzten und allenfalls sogar toten Personen, die durch Sandpuppen simuliert werden, wird ausgegangen. Während des Rundgangs über das Gelände machen
sich die Zugführer schweigend Notizen. Nur manchmal stellen sie eine präzise, meist technische Frage. Sobald die Soldaten ankommen, geht es schnell. Die Zugführer instruieren die Gruppenführer und teilen ihnen die Problemfelder zu. Die Materialwagen werden abgekoppelt, der Kommandoposten aufgestellt. Die Funkverbindung soll über zwei mobile Antennen, die die Führungsunterstützer zwischen Cham und der BSA in Thalwil errichten, gewährleistet werden; eine Übung, die auch für den Gruppenführer Julian Klingele neu ist. Auch die Dynamik ist eine andere als während der ersten drei Übungstage – die Simulation wirkt so echt, dass eine spürbare Spannung in der Luft liegt. Zwei Zivilschützer betreten mit einem Presslufthammer das Gebäude in Schräglage, werfen das gelbe Kabel über den Balkon des zweiten Stocks hinunter, stemmen sich gegen die Schräge und beginnen zu bohren. Der Auftrag besteht darin, über den zweiten Stock einen Durchgang zum darunterliegenden Zimmer im Erdgeschoss zu schaffen und mit einem Rettungsdreibeiner die verletzte Person aus dem Erdgeschoss zu bergen. Die beiden Zivilschützer wechseln sich ab, die Arbeit ist kräftezehrend. Einige Meter weiter kriecht ein Soldat mit Maske, Schutzbrille, Regenhosen, Helm und Ohrenschützern in einen niedrigen Schacht, um sich mit der Motorsäge mit Wasserkühlung den Weg durch eine Metalltür freizuschneiden. Nach einer halben Stunde ist das erste Problemfeld bereits behoben. Gruppenführer Severin Flury hat mit seinen Soldaten und einer Bahre eine verletzte Person aus dem obersten Stock eines Parkhauses geborgen, das sich ebenfalls in Schieflage befindet. Auf die Aussage, dass das schnell gegangen sei, antwortet Flury: «So ist das, wenn man mit Profis arbeitet.» Nach dem Einsatz ist das Fazit von Kompaniekommandant Andy Schlegel, der die Leitung des Wiederholungskurses innehatte, ein durchwegs positives. Zwar sei die Logistik dieser fünf Tage enorm gewesen, doch der Aufwand habe sich gelohnt. «Wir konnten mit sehr viel Werkzeug und einem grossen Truppenaufgebot arbeiten, den Einsatz an verschiedenen Orten üben und sowohl die Aufgabenbereiche der Logistik und Führungsunterstützung als auch der Pioniere trainieren», sagt er. Die Ziele habe man damit auf jeden Fall erreicht. Am wichtigsten sei jedoch, dass man gemerkt habe, wo noch Verbesserungspotenzial besteht. «Und, dass wir als Organisation trotzdem bereit sind für den Ernstfall.»

