Im Ernstfall ist für alle gesorgt. Die 365 000 öffentlichen und privaten Schutzräume auf
Schweizer Boden bieten rund 9 Millionen Menschen Platz, wodurch der Deckungsgrad bei
über hundert Prozent liegt. Um die Sicherheit der Bevölkerung und einen guten Zustand der
Schutzräume auch im Einsatzgebiet des ZVZZ zu gewährleisten, werden diese von Bruno
Cogliati periodisch kontrolliert.
Von Nelio Biedermann
Horgen. – Schutzraumkontrolleur Bruno Cogliati bestreitet seine Kontrollfahrt mit dem
ersten E-Auto des ZVZZ. Der Renault Twingo E-Tech eignet sich perfekt für das
Einsatzgebiet, das sich über neun Gemeinden erstreckt. Um tagsüber keine Zeit zu verlieren,
lädt Gefreiter Cogliati den Wagen über Nacht, denn sein Zeitplan ist durchgetaktet. Er ist
verantwortlich für die Kontrolle von 5300 Schutzräumen, deren Zustand alle sechs Jahre
überprüft werden muss. Aus dem Radio erklingen Vivaldis Fagottkonzert, dann die weiche
Stimme des Moderators von SRF 2 Kultur. Die Ruhe im Auto steht im Kontrast mit Cogliatis
Arbeit. Er parkt das Auto, steigt aus und geht mit zügigen Schritten auf den Hauswart zu.
«Pünktlichkeit ist wichtig in diesem Beruf, denn gerade bei den privaten Schutzräumen sind
wir auf die Zeit der Bewohnerinnen und Bewohner angewiesen», sagt er. Dennoch kommt es
immer wieder vor, dass er vor verschlossenen Türen steht.
Die Autorennbahn windet sich durch den Schutzraum
Sowie hereingelassen, verschafft sich Cogliati als Erstes einen Überblick über den
Schutzraum, schaut sich die Dichtungen und die Türen an. Auf seinem Tablet hat er zudem
alle Informationen, die er braucht. Er sieht, wie vielen Menschen der Raum Platz bietet und
wann er gebaut wurde. Die Konstruktion und die Ausrüstung der Schutzräume sind
standardisiert, alle, die ab 1987 erstellt wurden, sind mit Liegestellen und Trockenclosetts
ausgestattet. Nachdem sich Cogliati einen Überblick verschafft hat, prüft er das
Ventilationsaggregat im Frischluftbetrieb. Das heisst: Aggregat läuft, frische Luft strömt ein,
Cogliati hört, ob der Motor sauber läuft.
Das sollte man zum Unterhalt ohnehin alle sechs Monate selber machen, was zu Cogliatis
Bedauern jedoch oft nicht der Fall ist. Im Alltag werden die Schutzräume ohnehin
hauptsächlich für andere Zwecke verwendet. Der erste Schutzraum auf der Runde des
Kontrolleurs wird als Bandraum und Werkstatt benutzt. Im Vorraum stehen Sofas vor einer
Leinwand, am Boden liegen Kabel zwischen grossen Musikboxen und diversen Instrumenten.
Durch den hinteren Bereich windet sich eine weitläufige Carrera-Rennbahn, an der Decke
hängen ferngesteuerte Flugzeuge, an den Wänden Helikopter und Filmposter. «Wegen der
Friedensnutzung ist es nicht immer einfach, meine Arbeit zu machen», sagt Cogliati.
Manchmal stünden die Räume so voll, dass er kaum an den Filter und das Aggregat komme.
Auch die Druck- und Schleusenprobe sind je nach Nutzung der Schutzräume nicht möglich.
Nachdem er den ersten Filter geprüft hat, kontrolliert er den Panzerdeckel. So wird der
Zugang zum Notausstieg genannt. Seine Dichtungen sind rostzerfressen und spröde. Er
vermerkt es für den Bericht in seinem Tablet. Kritische Mängel müssen innert 90 Tagen
behoben werden, dann erfolgt eine Nachkontrolle, bei leichten Mängeln reicht ein Foto als
Info der Mängelbehebung.
Ein Kontrolleur muss auf alle Anblicke gefasst sein
Auch der zweite Raum, der mit dem ersten verbunden ist, wird als Bandraum genutzt. Die
Wände sind mit Eierkartons schallgedämpft, im hinteren Teil wurde ein kleines
Aufnahmestudio eingebaut. Solche Dinge sieht Cogliati oft, gerade in privaten Schutzräumen
kommt es vor, dass Leichtbau-Wände oder gar eine Sauna eingebaut werden. «Das ist zwar
erlaubt, im Bezugsfall müssen diese Dinge aber innerhalb von wenigen Tagen abgerissen
werden», sagt Cogliati. Die Vorbereitung der Schutzräume, das Ausräumen und Einrichten
erfolgen auf Anordnung der Behörden. Die Kontrolle unterliegt allein dem Zivilschutz. Über
dessen Webseite kann auch eingesehen werden, wo sich der nächste Schutzraum befindet und
wie weit er von der eigenen Wohnadresse entfernt ist. «Nach dem Ausbruch des Kriegs in der
Ukraine wurden wir mit Anfragen zu den Schutzräumen überschwemmt», erzählt
Kommandant Beat Klingelfuss. «Plötzlich wollten alle wissen, wo der nächste Schutzraum
liegt und mit wem sie diesen im Ernstfall teilen müssten. Letzteres konnten wir natürlich nicht
beantworten.»
Nachdem Cogliati auch im zweiten Raum das Ventilationsaggregat in Gang gebracht hat,
kontrolliert er den Vorfilter und das Explosionsschutzventil, das bei einer Explosion
zugedrückt würde und so dafür sorgte, dass der Druck von draussen nicht in den Schutzraum
gelangen könnte. Im Vorfilter, erzählt Cogliati, hätte er von gebrauchten Windeln bis zu
Bargeldreserven in einem Plastiksack schon alles Mögliche gefunden. Wie die Dinge dorthin
gelangen, weiss er auch nicht, vorbereitet ist er auf alles. Auch sonst ist die Arbeit als
Schutzraumkontrolleur nicht einfach: Er braucht viel Kraft. Wo diese nicht reicht, das
entsprechende Werkzeug, ein erstklassiges Zeitmanagement und manchmal Geduld mit den
Bewohnerinnen und Bewohnern. Aufhalten lässt sich Bruno Cogliati dadurch nicht, denn es
warten eine Menge weiterer Schutzräume auf ihn.